Deutschland im Luftkrieg – Geschichte und Erinnerung

Deutschland im Luftkrieg – Geschichte und Erinnerung

Organisatoren
Institut für Zeitgeschichte, Außenstelle Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.11.2005 - 03.11.2005
Url der Konferenzwebsite
Von
Michael Schmiedel, Humboldt-Universität zu Berlin

Es ist noch nicht lange her, da konnte man sich bei der Zeitungslektüre oder dem abendlichen Fernsehen kaum retten vor Dokumentationen und Zeitzeugenberichten über den Bombenkrieg gegen Deutschland. Inzwischen haben sich die Rauchschwaden der Debatten wieder verzogen. Ein guter Zeitpunkt also, Bilanz zu ziehen und sowohl die Gesellschaftsgeschichte des Krieges als auch die erinnerungskulturellen Denkstile und Konjunkturen näher zu untersuchen. Unter dem Titel „Deutschland im Luftkrieg – Geschichte und Erinnerung“ lud das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) zu einem Workshop nach Berlin, um insbesondere Nachwuchswissenschaftlern die Möglichkeit zu geben, ihre neuen Forschungen vorzustellen.
Drei thematische Blöcke umfasste die von Dietmar Süß (IfZ München) organisierte Veranstaltung: Ein erster, der sich mit „Verwaltung und Herrschaft im Luftkrieg“ beschäftigte und die zentralen Felder von Politik, Partei und kommunaler Krisenbewältigung in den Blick nahm; ein zweiter, der „Krieg, Gewalt und das Ende der Volksgemeinschaft“ untersuchte und nach den unterschiedlichen Dimensionen nationalsozialistischer Inklusions- und Exklusionspolitik nicht zuletzt aus einer geschlechtergeschichtlichen Perspektive fragte; und schließlich eine dritte Sektion, die die Erfahrungs- und Aneignungsgeschichte des Luftkrieges nach 1945 untersuchte und dabei sowohl den deutsch-deutschen als auch den deutsch-britischen Vergleich versuchte.

In seinem Einführungsreferat „Von der Gewalterfahrung zur Kriegserinnerung – Konzeption, Ergebnisse und Desiderate einer Gesellschaftsgeschichte des Zweiten Weltkriegs“ sprach sich Jörg Echternkamp (MGFA Potsdam) dafür aus, die Gesellschaftsgeschichte des Zweiten Weltkrieges als Geschichte des „Totalen Krieges“ zu schreiben. Der Begriff des „Totalen Krieges“ diente ihm als heuristisches Instrument, mit dessen Hilfe die Radikalisierung und Dynamik des Krieges in den Blick genommen werden kann und der eine Langzeitperspektive für die Untersuchung der Extensivierung von Gewalt ermöglicht. Er sprach sich dafür aus, die Geschichte des Zweiten Weltkrieges verstärkt als vergleichende, transnationale Geschichte zu begreifen und beispielsweise die Wirkungen des Luftkrieges für unterschiedliche europäische Länder zu untersuchen.

Jörn Brinkhus (Berlin) eröffnete die erste Sektion mit seinem Referat über den „Luftschutz im ‚Führerstaat’ 1939–1945“, das einige der Ergebnisse seiner eben abgeschlossenen Dissertation zusammenfasste. Dabei präsentierte er den Luftschutz als Beispiel für die im NS-Regime herrschende Polykratie. Zwar war der Luftschutz zentral von Berlin aus geregelt, dennoch kam es zu Konflikten zwischen Luftwaffe und Polizei, die erst 1942 einigermaßen ausgeräumt werden konnten. Im Herbst des selben Jahres wurde Goebbels von Hitler mit der Versorgung der zivilen Bombenopfer beauftragt und stand dem neu gegründeten Interministeriellen Luftkriegsschädenausschuss vor. Doch obwohl Goebbels seit Herbst 1943 weitere Kompetenzen an sich zog und sich auch Hitler in den Luftschutz einschaltete, konstatierte Brinkhus eine qualitative Verschlechterung der Maßnahmen zum Luftschutz während des Krieges und gravierende Steuerungsprobleme der NS-Führung.

Auf die „Kommunale Krisenbewältigung“ richtete Bernhard Gotto (München) sein Augenmerk. In seinem Referat schilderte er, wie die Kommunalverwaltungen sich auf die Luftangriffe vorbereiteten und welche Maßnahmen nach den Angriffen getroffen wurden. Dabei kam es zu einer Verzahnung der kommunalen Verwaltung mit den NS-Parteistellen. Gotto stellte fest, dass die Kommunen durch eine flexible Verwaltung eine teilweise durchaus wirksame Prävention gegen die verheerenden Luftangriffe erreichten. Der Luftkrieg habe demnach als Katalysator zur Modernisierung der Kommunalverwaltungen gewirkt, die so mit ihrer Arbeit die NS-Herrschaft „von unten“ stützten.

Die „Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) im Luftkrieg“ stand im Mittelpunkt des Vortrages von Armin Nolzen (Bochum). Trotz ihrer zeitweise 17 Millionen Mitglieder sei die Rolle der NSV im Luftkrieg bisher vernachlässigt worden, betonte Nolzen. Dabei wurde ihr im Juni 1939 schon die „Betreuung der von Luftangriffen betroffenen Volksgenossen“ übertragen. Besonders um die Evakuierungen und die so genannte erweiterte Kinderlandverschickung kümmerte sich die NSV. Während des Krieges stieg die NSV zu einer der wichtigsten NS-Organisationen auf, deren Eigenständigkeit aber mehr und mehr beschränkt wurde. Die NSV trug durch ihre Hilfsmaßnahmen zur Stabilisierung der NS-Herrschaft nach innen bei und änderte im Laufe des Krieges ihre soziale Praxis, die sich verstärkt an der „Soforthilfe“ und weniger an rassistischen Kriterien orientierte. Zudem habe die NSV durch ihre Überwachung der Luftschutzkeller aber auch als soziale Kontrollinstanz gewirkt.

Mit „Krieg, Gewalt und dem Ende der ‚Volksgemeinschaft’“ beschäftigte sich die zweite Sektion der Tagung, die Barbara Grimm (München) mit ihrem Vortrag über die „Morde an alliierten Fliegern“ in Bayern eröffnete. Die meisten der von Grimm in ihrer Magisterarbeit untersuchten Fälle waren entgegen der NS-Propaganda keine unmittelbaren Racheakte. Nicht der „Volkszorn“ sei für die meisten Morde verantwortlich gewesen, sondern lokale Funktionsträger des Staates und der NSDAP, die bis zum Ende des Krieges eine sehr enge Bindung an das NS-Regime gehabt hätten. Die Fliegermorde, die ihre Höhepunkte im Juni/September 1944 und im März 1945 erreichten, seien darüber hinaus ein Ventil für die wachsende Radikalisierung in den letzten beiden Kriegsjahren gewesen.

Als Teil ihres Dissertationsprojekts über „Frauen im Zweiten Weltkrieg“ untersuchte Nicole Kramer (München) die Rolle von Frauen als Akteurinnen im zivilen Luftschutz. Vor allem im Selbstschutz, dem Schutz des eigenen Hauses, wurden Frauen in die Verantwortung genommen. Als Beitrag der Frauen zur Landesverteidigung bezeichnete die Propaganda des Reichsluftschutzbundes diesen Einsatz. Den weiblichen Opfern dieser Einsätze wurden militärische Ehrenbezeugungen zuteil, die Grenze zwischen Zivilisten und Kombattanten wurde somit vom Regime immer mehr verwischt. Die Geschlechterdifferenz verlor an Bedeutung, Frauen wurden mehr und mehr Aufgaben im zivilen Luftschutz übertragen, was Kramer daher auch von einer „verweiblichten Heimatfront“ sprechen ließ.

Um die Binnenwahrnehmung und die Krisenperzeption des NS-Regimes ging es Dietmar Süß in seinem Vortrag über „Nationalsozialistische Deutungen des Luftkrieges“, der Teil eines Projektes zur vergleichenden Wirkungsgeschichte des Bombenkrieges in Deutschland und Großbritannien ist. Trotz aller Probleme schien sich die nationalsozialistischen Eliten und allen voran Goebbels doch sicher, dass es ein zweites „1918“ trotz der alliierten Bombardierungen nicht geben werde. Süß unterstrich die hohe Integrations- und Wirkungskraft nationalsozialistischer Politik und deren radikalisierten Sozialutilitarismus, die sich insbesondere in der Endphase des Luftkrieges gezeigt hätten. Er sprach sich dafür aus, die Folgen der Bombardierungen für die Funktions- und Erosionsprozesse des Herrschaftssystems genauer als bisher zu prüfen, um dadurch das Spannungsverhältnis von volksgemeinschaftlicher Inklusion und Exklusion, von propagandistischer Inszenierung und Vertröstung auszuloten.

Die dritte Sektion war mit „Deutungen und Erinnerungen des Luftkrieges“ überschrieben und der Erinnerungskultur an die Luftangriffe in verschiedenen Städten und Ländern gewidmet. Stefan Goebel (University of Kent) wählte die vergleichende Perspektive mit seinem Referat über „Coventry und Dresden: lokales Gedächtnis und transnationale Netzwerke der Erinnerung“. Dabei zeichnete er nach, wie Coventry und vor allem die dortige Kathedrale in den 1950er und 1960er-Jahren zu einem transnationalen Erinnerungsort avancierten und wie sich die Kooperation mit Dresden, und damit den Deutungsmustern des SED-Staates, gestaltete.

Mit dem „Gedenken an ‚Operation Gomorrha’: Hamburgs Erinnerungskultur und städtische Identität“ beschäftigte sich Malte Thießen (Hamburg). Der Bombenkrieg wurde in Hamburg zu einem zentralen Erinnerungsort des städtischen Gedächtnisses. Drei unterschiedliche Narrative machte Thießen aus, die über die Jahre verschieden miteinander verwoben wurden und deren Deutungskontext sich wandelte. Waren in den 1950er und 1960er-Jahren noch die Narrative der „Durchhaltegemeinschaft“ und der Bombenangriffe als „Gründungsmythos“ der Stadt vorherrschend, so verschob sich in den 1990er-Jahren das Gedenken hin zum dritten Narrativ, der Deutung der Operation Gomorrha als Akt der Befreiung.

Zum Abschluss referierte Jörg Arnold (Southampton) über „'Was wir verloren haben...'. Der alliierte Luftkrieg in den lokalen Erinnerungskulturen Kassels und Magdeburgs, 1940 bis 1995“. Trotz einer Erosion der NS-Deutungsmacht gegen Ende des Krieges bildeten sich in Kassel dennoch schon während des Krieges Erzählmuster heraus, die auch nach dem Krieg weiterverbreitet wurden. Drei Diskursfelder machte Arnold fest: die Konfrontation mit dem Kriegstod, die Auseinandersetzung mit überkommenen Sozialstrukturen und den Luftangriffen als historischer Erzählung. Auch in Magdeburg nahm man den Bombenkrieg als Kontinuitätsbruch in der Stadtgeschichte wahr. Da aber in der DDR Dresden als nationaler Gedächtnisort galt, mussten – trotz einiger Widerstände – die Vorgaben von dort übernommen werden. Lokale Deutungsmuster traten somit zunächst in den Hintergrund.

In der abschließenden, von Horst Möller (München) moderierten Diskussion bestand Einigkeit darin, dass der Luftkrieg ein wesentliches und noch unzureichend untersuchtes Element einer Gesellschafts- und Kulturgeschichte des Zweiten Weltkrieges sei. Hinzu kam die Forderung nach einer vergleichenden, transnationalen Perspektive der Geschichte des Luftkrieges, allen voran mit Italien, Frankreich und Großbritannien.


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